Im Spiegel der Presse

Amateurtheater Ochsenhausen e.V.

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"Der Gott des Gemetzels" – ein Theatervergnügen für Gourmets
Premierenkritik von Karl Hack (Erolzheim)
ATO 17.11.2014

Das Amateurtheater Ochsenhausen (ATO) feierte mit dem inzwischen weltweit meistgespielten Theaterstück "Der Gott des Gemetzels" der französischen Autorin Yasmina Reza am vergangenen Freitag in der Schranne eine glänzende Premiere. "Der Gott des Gemetzels" ist die wohl gelungenste Wort-Schlacht zwischen zwei Paaren seit Edwards Albees Bühnenklassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", in dem einst Richard Burton und Elizabeth Taylor einander zerfleischten.

Gleich zu Beginn scheint das von Regisseur Jan Sandel bearbeitete Stück auch schon zu Ende zu sein. Die Köhlers und die Pflugs haben sich gerade auf einen gemeinsamen Text für die Versicherung geeinigt und sind im Begriff, sich zu verabschieden. Kevin, der elfjährige Sohn des Ehepaares Pflug, hat nämlich dem gleichaltrigen Lukas Köhler im Friedenspark mit einem Stock zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Mit Hilfe "der Kunst des zivilisierten Umgangs" konnten die beiden Familien einen Konflikt vermeiden. Das Angebot Kaffee mit selbst gebackenem Ofenschlupfer lassen das Ehepaar Pflug nochmals Platz nehmen und das Gespräch über das "zerschmetterte Gesicht" von Lukas kommt wieder in Gang. Doch als Annette Pflug mit einem Schwall Erbrochenem den ausgelegten Kokoschka-Kunstband versaut, eskaliert die Situation und die Stimmung kippt. Aus dem geplanten Friedensgipfel wird – als Leckerbissen für die vier Schauspieler und fürs Publikum – eine handfeste, urkomische Zimmerschlacht.

Das ATO servierte dem hellauf begeisterten Premierenpublikum ein herrliches Gemetzel: Opfermoral gegen Tätermoral, Frauen gegen Männer und schlussendlich jeder gegen jeden. Da ist zum einen das biedere Ehepaar Veronika und Michael Pflug. Veronika sieht sich als eine sozialkritische Schriftstellerin mit hohen Moralvorstellungen, die genau weiß, was gut und böse ist. Engagiert bis zur schmallippigen Verbissenheit, propagiert sie penetrant die Werte der westlichen Zivilisation, zu der sie sich glücklich zugehörig fühlt. Die sich zum Gutmenschen berufen wähnende Veronika fand in Carola Braig eine brillant kongeniale Darstellerin.

Ganz anders ihr Ehemann Michael, Großhändler für Haushaltsartikel, ist in seiner geistigen Orientierung weniger hochfliegend und mimt zunächst den naiven Konfliktvermeider, der aber alsbald sein aggressives Potenzial lauthals offenbart. Boris Kappler schlüpfte gekonnt in die Rolle dieses bodenständigen Kleinbürgers und Whiskykenners, der ohne Skrupel den Hamster seiner Tochter Laura einfach auf der Straße ausgesetzt hat.


Auf der anderen Seite dünken sich Annette und Roland Pflug ob ihres gehobenen gesellschaftlichen Status den Gastgebern überlegen. Roland lässt die Erziehungsdebatte völlig kalt. Als erfolgreicher Anwalt telefoniert er ständig, um einen Skandal bei seinem wichtigsten Kunden, einer Pharma-Firma, abzuwenden, nachdem bei deren Blutdrucksenker schwere Nebenwirkungen aufgetreten sind. Diesen Menschenverächter, der schon immer nur an den "Gott des Gemetzels" geglaubt hat, spielte mit schauspielerischem Können aufreizend zynisch und arrogant Manfred Licht.

Seine Frau Annette, Investmentberaterin, fühlt sich mit den familiären Verpflichtungen überfordert und von ihrem Karrieristen-Ehemann allein gelassen. Genervt versenkt sie dessen Handy in der Gerbera-Blumenvase. Liane Ruopp wagte mit Wonne den Sprung von der gutsituierten Karrieristen-Gattin zur würgend speienden, saufenden und den schönen Gerbera-Strauß zerfetzenden Hysterikerin.

Mit sehr viel Feingefühl und hemmungsloser Situationskomik hat Jan Sandel das Stück in Szene gesetzt. Und wenn ihm dabei zusammen mit vier herausragenden Menschendarstellern das Kunststück gelungen ist, das Publikum in einen Abgrund menschlichen Verhaltens schauen zu lassen, und zwar so, dass es seinen Spaß daran hatte, dann ist dies Theatervergnügen für Gourmets.


Diese Seite wurde erstellt am 28.11.2019
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